Das bedingungslose Grundeinkommen im postpatriarchalen Durcheinander

Dreiundzwanzigstes Gespräch über das bedingungslose Grundeinkommen

Heute spricht Alma Redzic, Geschäftsführerin des „Vereins Feministische Wissenschaft Schweiz“ mit Antje Schrupp und Ina Praetorius. Das Gespräch wurde im Oktober 2013, kurz nach der Einreichung der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen geführt. Es ist zuerst erschienen in: FemInfo 34/2013, 15-18

Alma Redzic: Ihr setzt euch sehr engagiert mit dem Thema BGE auseinander. Was hat euch persönlich dazu bewegt?

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Ina Praetorius: Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist schon alt, gewinnt aber heute, im postpatriarchalen Durcheinander, neue Brisanz. Denn die BGE-Debatte ermöglicht es, grundlegende Fragen nochmal von vorne zu stellen: Was wollen wir überhaupt unter “Wirtschaft” verstehen, was unter “Arbeit”? Welche Tätigkeiten sind notwendig und sinnvoll, welche nicht? Wie kann das Geld so organisiert werden, dass es dem guten Zusammenleben dient? Wie wollen wir in Zukunft leben? Mit den Leuten auf der Strasse über solche Grundfragen nachzudenken, fasziniert mich sehr. Deshalb scheint mir gerade die Form der Volksinitiative geeignet, um diese Debatte zu führen.

Antje Schrupp: Dass Sozialpolitik sich nicht darauf beschränken kann, im Rahmen der vorgegebenen Strukturen hier und da ein paar Stellschrauben anzuziehen oder zu lockern, ist schon lange meine Überzeugung. Die Idee eines Grundeinkommens hat den Charme, dass sie gleichzeitig utopisch und konkret ist.

Alma Redzic: Was sind aus feministischer Sicht Vorteile eines BGE für die Frauen und die gesamte Gesellschaft? Sozial, politisch, wirtschaftlich?

Antje Schrupp: Die größte Stärke der Grundeinkommensidee ist, dass sie die Koppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit auflöst. Faktisch ist beides ja ohnehin nicht gekoppelt, weil zum Beispiel Kinder und Hausfrauen, aber auch Vermögende schon immer ein Einkommen haben, das von ihrer Leistung unabhängig ist. Aber die Sozialsysteme und auch die Debatten um Sozialpolitik kreisen doch nach wie vor um das Idealbild des sich selbst versorgenden Erwerbstätigen. Das funktioniert aber nicht mehr: Einerseits nimmt in vielen Bereichen die Produktivität zu, sodass Erwerbsarbeitsplätze verschwinden. Andererseits gibt es eine sehr große Menge an gesellschaftlich notwendiger Arbeit, vor allem im Care-Bereich, die sich nicht für eine betriebswirtschaftliche Organisation im Sinne von Erwerbsarbeit eignen.

Deshalb müssen wir, wie du, Ina, sagst, neu über Arbeit, Sinn, Notwendigkeit und Einkommen nachdenken. Die Grundeinkommensidee erzwingt solche Debatten geradezu.

Ina Praetorius: Genau. Das BGE ist kein Lohn, sondern stellt die Logik, dass man Arbeit stundenweise oder nach berechenbaren Kriterien bezahlen kann, in Frage. Sein Zweck ist es, die Existenz aller Menschen auf einem Basisniveau zu sichern, unabhängig davon, was sie tun. So entstehen neue Handlungsspielräume: wenn zum Beispiel eine allein erziehende Mutter nicht mehr gezwungen ist, irgendeine sinnlose Erwerbsarbeit anzunehmen, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, dann gewinnt sie Freiheit: Freiheit zum Nachdenken, zur Selbstorganisation mit oder ohne Erwerbsarbeit, zum politischen Engagement.

Ganz wichtig ist: anders als im heutigen System der “Sozialhilfe” für “die Schwachen” gewinnt sie Freiheit, ohne sich “daneben” fühlen zu müssen, weil sie nicht der (veralteten) Norm der Erwerbstätigen entspricht. Und dann gilt es diese neuen Spielräume zu nutzen. Das ist anspruchsvoll!

Alma Redzic: Gibt es aus feministischer Sicht Nachteile oder Gefahren eines BGE für die Frauen und die gesamte Gesellschaft? Sozial, politisch, wirtschaftlich?

Antje Schrupp: Ja, die Gefahr ist, dass die bisher überwiegend von Frauen  ohne Bezahlung geleisteten Arbeiten als mit dem Grundeinkommen abgegolten betrachtet werden. Das würde nicht nur die traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung verfestigen, es würde auch verhindern, dass diese Arbeiten explizit in die Gesamtökonomie einbezogen werden.  Genau das geschieht aber momentan durch die Professionalisierung ehemaliger “Hausfrauenarbeiten”: Es wird uns langsam bewusst, welch großen Anteil sie am allgemeinen Wohlstand haben. Dieser Bewusstwerdungsprozess könnte durch ein Grundeinkommen wieder abgewürgt werden. Und dann bestünde tatsächlich die Gefahr, die manche BGE-Gegnerinnen sehen: dass nämlich nicht klar ist, wie, unter welchen Bedingungen und von wem diese notwendigen Arbeiten in Zukunft erledigt werden, wenn der Zwang zur Erwerbsarbeit wegfällt.

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Ina Praetorius: … und genau diese “Neutralisierung” ist in der bisherigen Debatte über die Schweizer Volksinitiative leider wieder passiert. Ich habe ja vor meinem Eintritt ins Initiativkomitee in mehreren Texten klar gesagt, dass ich das BGE nur als postpatriarchales Projekt unterstütze. Denn wenn man “neutral” darüber spricht – wie zum Beispiel in der TV-Arena vom 27. April 2012 -, dann besteht genau die Gefahr, die Antje gerade beschrieben hat: Das BGE wird als Hausfrauenlohn missverstanden, alles bleibt beim Alten, oder die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung verschärft sich sogar. Bis heute ist es mir nicht gelungen, meinen Kolleginnen und Kollegen im Initiativkomitee klar zu machen, dass der Care-Sektor der Wirtschaft kein “Nebenpunkt”, also nicht mein Spezialhobby als Feministin ist, sondern den Kern des Projekts BGE betrifft. Martha Beéry-Artho hat ja im Mai 2012 gegen diese TV-Arena Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen in der Schweiz (UBI) wegen mangelnder Sachgerechtigkeit eingereicht und Recht erhalten. Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht darum, dass Frauen zu wenig zu Wort kamen, sondern dass die Sendung nicht sachgerecht informiert hat, weil sie die Geschlechterdifferenz nicht zum Thema gemacht hat. Die Fernsehgesellschaft SRG hat den Entscheid der UBI ans Bundesgericht weitergezogen. Vor ein paar Tagen wurde bekanntgegeben, dass das Bundesgericht den Entscheid der UBI wieder aufgehoben hat. Wir werden jetzt die verschiedenen Argumente, mit denen in den beiden Urteilsbegründungen operiert wurde, analysieren. Das ist interessant und wird uns noch beschäftigen.

Alma Redzic: Kann das BGE dafür sorgen, dass wir die bisherigen Strukturen der Care-Ökonomie, die stets zu Lasten der Frauen ausgerichtet waren und sind, umkehren könnten?

Antje Schrupp: Ja, wenn das Thema bewusst diskutiert und problematisiert wird. Wenn man hingegen glaubt, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung werde sich im Zuge eines Grundeinkommens quasi von selber auflösen, werden solche Strukturen eher noch verfestigt.

Ina Praetorius: Was mir am BGE gefällt, ist, dass es Frauen als handlungsfähige Subjekte ernst nimmt. Es liefert keine massgeschneiderten Modelle für die Neuaufteilung der Arbeit, sondern traut Frauen und Männern zu, sich auf der Basis einer gesicherten Existenz selbst zu organisieren. Das ist riskant, kommt aber der feministischen Idee weiblicher Freiheit mehr entgegen als zum Beispiel die Idee eines ausgebauten staatlich finanzierten Care-Sektors auf der Basis traditioneller Lohnarbeit.

Alma Redzic: Wie erlebt ihr den öffentlichen Diskurs zum BGE? Was sind die Vorurteile der GegnerInnen?

Ina Praetorius: Es ist ebenso spannend wie anstrengend, als konsequent postpatriarchal Denkende mit Männern zusammen BGE-Politik zu machen. Immer wieder – im Komitee, in den Medien, auf der Strasse, im Netz – stosse ich auf diese uralte mentale Struktur des “Nebenwiderspruchs”, zum Beispiel in dieser Form: “Jetzt führen wir erst mal das BGE ein, und dann löst sich dein Frauenproblem schon von selber…”

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Nicht einmal “Starjournalisten” wie Constantin Seibt, Daniel Binswanger oder Andreas Zumach verstehen, dass es nicht um “mehr Frauen im Fernsehen”, sondern um die sachgerechte Wahrnehmung der Wirklichkeit geht: darum, dass Wirtschaft nicht erst mit dem Geld beginnt, sondern alle “Massnahmen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse” (Peter Ulrich) umfasst.

Auch grosse Teile der Frauenbewegung haben noch nicht verstanden, dass die BGE-Debatte eine grossartige Chance ist, um all die Themen, die wir in den vergangenen vierzig Jahren diskutiert haben, neu auf den Tisch zu legen. Trotzdem: Die eineinhalb Jahre, seit ich im Initiativkomitee politisiere, waren eine gute Erfahrung. Und es gibt ja auch immer wieder freudige Überraschungen, zum Beispiel den Entscheid der UBI.

Antje Schrupp: Ich erlebe den Diskurs als sehr produktiv. Die Grenzen zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen verlaufen quer zu den üblichen Lagern und  Parteien, das ist ein Zeichen dafür, dass es um wirklich spannende Grundsatzfragen geht.

Alma Redzic : Danke für das Gespräch!