Nahe Ferne. Ein Ausflug

Vor ein paar Tagen hatte ein Facebook-Freund, von dem ich schon länger nichts mehr gehört hatte, Geburtstag. Ich beschloss, ihm kein zusätzliches „Happy Birthday“ in seine schon sehr belebte Timeline zu setzen, sondern stattdessen nachzuschauen, was ihn in letzter Zeit beschäftigt hat.

Für ungefähr eine halbe Stunde tauchte ich so ins Innenleben der Impfgegner*innenszene ein. Ich liess mich anregen zu fragen, was mein Immunsystem eigentlich gerade so treibt, und wie es wohl den Abwehrkräften von Kleinkindern im Lockdown geht, die in ihrem Leben noch keinen einzigen Schnupfen gehabt haben. Mir wurde bewusst, wie wenig ich von Immunologie weiss. Gern wüsste ich mehr.

Als ich genug hatte von den Befürchtungen, die oft mit Nichtwissen einhergehen, schaute ich mir die Liste der Leute an, die sowohl mit dem Geburtstagskind als auch mit mir auf Facebook befreundet sind. Ich landete auf der Timeline einer Frau, die ganz in meiner Nähe wohnt, die ich früher manchmal auf der Straße oder bei einer Demonstration gegen Rassismus oder für Konzernverantwortung getroffen habe. Ich schaute mir ein selbst gedrehtes Video an, das sie kürzlich gepostet hat und auf dem sie mich auffordert, auch im Lockdown positive Gefühle zu entwickeln, weil dunkle Kräfte im All, die die Welt ins Unheil stürzen wollen, sich von der Angst der Menschen nähren. 

Auf der nächsten Timeline, die ich durchstreifte, stiess ich auf einen Begriff, der einst zu meinem Wortschatz gehört hat, der mir aber schon lange nicht mehr begegnet ist: „Apparatemedizin“. Die vielen Apparate, die heutzutage in Krankenhäusern und Arztpraxen stehen, zerstören die Beziehungen zwischen uns Menschen, stand da, sie verhindern Gespräche und reduzieren die Ganzheit, die wir sind, auf abstrakte Kurven und Zahlen. Vor meinem inneren Auge erschienen die vielen Beatmungsgeräte, die zur Zeit rund um die Welt in Betrieb sind und die, sofern sie sachkundig bedient werden, Menschenleben retten oder auch nicht. 

Dann kehrte ich zu meinem Tagewerk zurück. Ein Fazit aus meinem virtuellen Rundgang zog ich nicht, denn es fiel mir keines ein. Außer vielleicht, dass Facebook-Geburtstagsanzeigen mich, wenn ich mir Zeit lasse, zu einer nahen Ferne in Beziehung setzen, was ich sinnvoll finde.