Die UBS von innen

Zu: Elli von Planta, Wessen Interessen? Menschen, Macht und Mitwirkung, Basel (IL Verlag) 2020

Elli Beindorff, geboren 1949, wuchs auf einem Gutshof in der Lüneburger Heide auf. Im Jahr 1971 heiratete sie einen Jüngling aus dem Hause von Planta und kam so in die Schweiz. Der Mann verließ die Familie, nachdem die Frau vier Kinder zur Welt gebracht hatte, worauf Elli an der Universität ihrer Stadt Basel ein Studium der Rechtswissenschaft aufnahm, das sie im Jahr 1992 abschloss. Im Jahr 1994, vier Jahre vor der Megafusion von Schweizerischer Bankgesellschaft und Schweizerischem Bankverein zur heutigen UBS, trat sie eine Stelle beim Bankverein an: 

„Ob ich das noch einmal machen würde, in einer Bank anheuern? … Ich war seinerzeit froh, dass mich überhaupt jemand anstellte…“ (17) 

Bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2011 blieb Elli von Planta der UBS treu, durchlebte erst den holprigen Zusammenschluss zweier grundverschiedener Unternehmenskulturen, zehn Jahre später die globale Finanzkrise, in der die UBS als „systemrelevante“ Bank vom Staat gerettet werden musste. Im Jahr 2001 ließ sie sich in die UBS-Arbeitnehmervertretung wählen. Während der Krise, von 2007 bis 2010, war sie als Präsidentin der Personalkommission tätig. In dieser Funktion vertrat sie das gesamte schweizerische Personal der Großbank, also ungefähr 20.000 Menschen, auf der Chefetage. Sie organisierte Versammlungen und redigierte die Zeitschrift für Mitarbeitende, referierte an Leadership-Kursen, führte unendliche Gespräche, arbeitete Mitwirkungsreglemente aus, setzte die Einrichtung einer Ombudsstelle durch und führte gleichzeitig ihr Privatunternehmen: Familie, Haushalt, Kinder, Enkel.  

Im Buch „Wessen Interessen?“ erzählt Elli von Planta aus ihrem Leben, vor allem von den Jahren in der Personalvertretung der UBS. Ursprünglich hätte das Buch eine soziologische Doktorarbeit zum Thema „Der Wandel der Arbeitswelt innerhalb der Bankbranche“ werden sollen. Der Doktorvater an der Universität St. Gallen war schon gefunden. Aber das Akademische ist der Gutsherrinnentochter zu eng. Sie schreibt ausgreifend, emotional, leidenschaftlich, sie trägt ihre Erfahrungen als Familienführungskraft mitten hinein in die Verantwortung für Tausende von verunsicherten Menschen, die nicht wissen, ob sie sich als homines oeconomici gebärden oder die ur-schweizerisch werthaltige Mentalität von „Treu und Glauben“ hochhalten sollen: 

„Niemand scheint sich darum zu kümmern, dass wir zuhause, in unseren Familien und in der Gesellschaft nach völlig anderen Spielregeln spielen, als völlig andere Menschen unterwegs sind, als wir dies an unseren Arbeitsplätzen, in der Wirtschaft offenbar müssen.“ (295)

Sie benennt quälende Widersprüche im „Moralzehrer Markt“ (261), amüsiert sich über die aus den USA importierte Neokultur von corporate reputationpowerpoint presentation und key performance, ist zornig auf kalte Profitmacher, liebt und lobt Schweizer Gemächlichkeit, schämt sich nicht ihres Idealismus. Sie ist mitreißend zuversichtlich, erzählt heitere Episoden, verführt die Systematikerin in mir durch wortreiche Eleganz und lässt sich ihren Glauben an die moralische Kraft der Zugehörigkeit nicht austreiben: 

„Demokratie ist das Versprechen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen.“ (277) 

Elli von Plantas zukunftsschwangeres Buch, auch eine Hommage an ihre und meine Wahlheimat Schweiz, ist im Juli 2020 erschienen, im Sommer der Pandemie. Ich habe in diesem seltsamen Jahr viele gute Bücher gelesen und habe die Ruhe genossen, die dazu nötig war. Noch jetzt, im November, freue ich mich, wenn ich mich still und friedlich in meine Lektüre vertiefen kann. Viel Party brauche ich nicht. Aber Elli von Plantas Buch würde ich gern jetzt sofort mit einem rauschenden Fest feiern. Warum? Weil es so besonders ist, so grenzüberschreitend, ohne braves Maß, kein Roman und kein Ethiklehrbuch, kein Tagebuch und keine wissenschaftliche Abhandlung. Es ist Elli von Plantas Lebenswerk voller Gefühl, und voller Staunen über die bedrohten Wunder des Zusammenwirkens in unwirtlichen Zeiten. Ich liebe es.