Zu: Silke van Dyk, Tine Haubner, Community-Kapitalismus, Hamburg (Hamburger Edition) 2021
WiC-Blogpost Nummer 48
Ich bin gern ehrenamtlich tätig. Als Freiwillige muss ich keine Befehle ausführen, sondern kann nach Lust und Laune Neues in die Welt bringen: konspirative Treffpunkte für die Frauen aus zahllosen Ländern zum Beispiel, die alle in meinem Dorf zuhause sind.
Das Ehrenamt kann aber auch zum Ärgernis werden, zum Beispiel wenn es sich plötzlich anfühlt, als hätte ich mit großem zeitlichem Einsatz ein Menü für zwanzig hungrige Leute gekocht, nur um dann festzustellen, dass mein Engagement untergeht in einem allgemeinen Lobgesang auf „Gemeinschaft“. Ob solcher Verschleierung unbezahlter, aber durchaus messbarer Care-Leistungen wird eine am besten „unbequem und laut“ (161). Denn schließlich haben wir engagierten Rentnerinnen und Rentner keineswegs die Absicht, für ein paar Dankesworte und eine herablassende „Aufwandsentschädigung“ die notorischen Kostenminimierungen des Sozialamts zu unterstützen, wenn wir zusätzlich zu den erkämpften Rechten von Migrant*innen unsere und ihre politische Wachsamkeit stärken, indem wir zum Beispiel interkulturelle Gesprächsrunden organisieren.
Vom Recht zur Gabe (und zurück)
Genau diese heikle Zone, in der freies zivilgesellschaftliches Engagement zu einem unverzichtbaren Pfeiler der Daseinsvorsorge zu werden droht und damit in Ausbeutung kippt, nehmen die beiden Sozialwissenschaftlerinnen Silke van Dyk und Tine Haubner in ihrem Buch „Community Kapitalismus“ in den Blick. Ihr Anfangsverdacht, dass seit der Finanzkrise 2008 Kapitalismus und Staat ehrenamtliches Tun auch und gerade in posttraditionalen linksalternativen „Communities“ als Ressource nutzen, um Versorgungslücken kostengünstig oder gratis zu stopfen, hat sich durch etliche, wenn auch noch zu wenige Forschungen bestätigt: Mit einer Kombination aus moralischer Aufwertung, oft geradezu Sakralisierung des Ehrenamts, Förderprogrammen für Freiwillige und einer „Politik des Unterlassens“ (45) betreiben Kapital und Staat systematisch eine Überführung verbriefter Rechte in milde, „weiblich“ konnotierte Gaben. In dieser facettenreichen, nach vielen Seiten anschlussfähigen Entwicklung treffen sich die Hegemoniekrise des Neoliberalismus und seines inzwischen weitgehend diskreditierten Selbstverantwortungsprinzips, Versorgungsengpässe in den Care-Sektoren, die insbesondere durch die Auflösung patriarchaler Familienstrukturen entstanden sind, Anti-Etatismus, Bürokratiekritik und eine in fortschrittlichen wie konservativen Milieus beobachtbare Sehnsucht nach persönlicher Nähe. Alterungsprozesse und die ohnehin in Gang befindliche Entgrenzung von Arbeit und Freizeit in der Plattform-Ökonomie verstärken den Trend hin zur „Verzivilgesellschaftung der sozialen Frage“ (10) mit den vielen Gesichtern: vom „aktivierten“ Langzeiterwerbslosen, der im Altersheim Essen verteilt, bis zur rüstigen Rentnerin, die Fahrdienste organisiert (aber bitte nur für nette Leute!), von der gewohnheitsmäßigen nachbarschaftlichen Einkaufshilfe in Pandemiezeiten bis zur Betreuung von Dementen in vorwiegend weiblichen „Caring Communities“.
Widerständiges Ehrenamt
Immer wieder beteuern die beiden Autorinnen, es gehe ihnen nicht darum, freiwilliges Engagement als solches zu diskreditieren, vielmehr wollten sie dessen Kehrseite zum Thema machen, indem sie zeigen, wie die Indienstnahme des Ehrenamts für basale Versorgung zunehmend das Prinzip sozialer Rechte unterläuft. Ihre Alternative heißt „Insourcing“ (156) und meint langfristig eine (postpatriarchale) Stärkung des Sozialstaats und der öffentlichen Infrastruktur durch „Partizipation der Versicherten und Versorgten“ (157), bis hin zur ausdrücklichen politischen Kritik der Eigentumsverhältnisse.
Leute wie ich, Liebhaberinnen und Liebhaber des Ehrenamts, können jederzeit in diese Richtung arbeiten, indem wir klar und vor allem öffentlich wahrnehmbar sagen, dass freiwilliges Engagement nicht dazu da ist, Rechtsansprüche auf ein gesichertes Dasein einzulösen, sondern um in kritischer Einstellung zum Bestehenden Neues in die Welt zu bringen:
