WiC-Blogpost Nummer 41
zu: Gabriele Winker, Solidarische Care Ökonomie, Bielefeld (transcript) 2021
Gabriele Winker liefert, was es jetzt, in der hoffentlich letzten Phase der globalen Pandemie, braucht: eine geschlechtersensible Zusammenschau von Care-Revolution und Klimabewegung. Sie knüpft damit an ein Versprechen an, das sie am 15. März 2014 in ihrer Eröffnungsrede zur Gründungskonferenz des Netzwerks Care-Revolution in Berlin gegeben hat: dass wir nämlich „unsere Gedanken zu einer neuen, an Care orientierten Ökonomie auch in … die wachstumskritische ökologische Bewegung“ hineintragen werden. Ihr Ziel, das sie im ersten Kapitel ihres neuen Buches „Solidarische Care Ökonomie“ umreißt, ist es, eine „Transformationsstrategie“ hin zu einer Gesellschaft zu entwickeln, „in der Menschen in erfüllenden sozialen Beziehungen und mit Rücksicht auf die ökologischen Kreisläufe leben können.“ (16f).
Update
Das zweite Kapitel bietet faktenreiche Updates zu den zahlreichen Facetten des un- und unterbezahlten Care- Sektors in Deutschland: Von der unbezahlten Sorgearbeit in Privathaushalten, speziell der Situation von Alleinerziehenden und Menschen, die für betreuungsbedürftige Angehörige sorgen, über die Situation in Alten- und Pflegeheimen und in Akutkrankenhäusern bis hin zu bezahlten personennahen Dienstleistungen, etwa der 24-Stunden-Betreuung alter Menschen durch oft illegal beschäftigte Pendelmigrantinnen, reicht das Spektrum der strukturverwandten Sorgetätigkeiten, die von einem nur langsam brüchig werdenden neoliberalen Regime unsichtbar gemacht und in den Dienst der Kapitalverwertung gestellt werden.
Mehrfachkrise
Im dritten Kapitel referiert Winker die wesentlichen Tatsachen des Klimawandels, die sie im vierten Kapitel zur „Krise sozialer Reproduktion“ (69 und passim) in Beziehung setzt: Weil die „immanente Rationalität und tatsächliche Irrationalität“ (82) des neoliberalen Wachstumszwangs dazu führt, dass Unternehmen sich, um konkurrenzfähig zu bleiben, Respekt gegenüber natürlichen Ressourcen ebenso wenig leisten können wie gegenüber verletzlichen und bedürftigen, also realen Menschen, hängen die Krisen der sozialen und der ökologischen Reproduktion ursächlich zusammen. Die Lösung des Dilemmas kann laut Winker letztlich nur die Überwindung des kapitalistischen Systems sein.
Vielfältig gelebter System Change
Im fünften Kapitel wendet sich die Autorin der Frage zu, wie trotz der systembedingt notorischen Überforderungs- und Stresszustände Handlungsfähigkeit bewahrt werden oder entstehen kann, die den Zwang zur permanenten Selbstoptimierung als Scheinlösung entlarvt und stattdessen in tatsächliche politische Veränderung führt. Konsistente Vorstellungen von der zukünftigen Gesellschaft und plastische Bilder vom notwendigen „System Change“ hält sie dabei für ebenso wichtig wie Spaß, Freude, „Glücksmomente“ (189) und tatsächliche Erfahrungen von nicht gewinnorientierter Solidarität in freiwilligem Engagement trotz allem. Menschen, die ihre Handlungsfähigkeit allen Systemzwängen zum Trotz zurückgewinnen, können sich nach Kräften je an ihrem Ort in die „Transformationsstrategie“ der Care-Revolution (Kapitel 6) einbringen, sei es im Rahmen von Gewerkschaften für eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, in Initiativen für ein Care-ökonomisch begründetes bedingungsloses Grundeinkommen, für Radwege, Nachbarschafts- oder Gesundheitszentren oder in „zukunftsweisenden Leuchttürmen“ (169f) wie Wohnprojekten, selbstorgansierten Caring Communities oder Gartenkooperativen.
So werden in der „freien Wahl des eigenen Beitrags“ persönliche Potentiale entfaltet und kann der freundliche Umgang miteinander eingeübt werden, der schließlich in den System Change mündet: die solidarische Gesellschaft, „in der die Trennung von entlohnter und unentlohnter Arbeit aufgehoben … und ein gutes Leben im Einklang mit den vorhandenen Ressourcen“ möglich ist. (186f).
(Hier ist eine Besprechung des Buches von Antje Schrupp.)

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