WiC-Blogpost Nummer 40
(English Translation)
1.
Der Begriff Care lässt sich in einem engen und in einem weiten Sinne verstehen: Meist wird Care heute noch im engeren Sinne als ein gesellschaftlicher oder ökonomischer Sektor wahrgenommen, der das unverzichtbare, aber unbezahlte „vermischte Tun“ (Uta Meier-Gräwe in „Scobel“ 26.06.2018, Minute 9) in Privathaushalten und die zumeist unterbezahlten Fürsorgetätigkeiten in Haushalten und in Institutionen vor allem des Gesundheits- und Bildungswesens umfasst. Diese un- und unterbezahlten Care-Tätigkeiten haben gemeinsam, dass sie heute noch zu großen Teilen von Frauen geleistet werden und mit konventionellen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ verknüpft sind, dass sie wenig Anerkennung genießen und in öffentlichen Diskursen bis zur Unsichtbarkeit hin randständig sind.
Im weiten Sinne verstanden bedeutet Care eine Qualität: einen bestimmten Weltbezug, der „das Leben und seine Erhaltung in den Mittelpunkt“ rückt und sich damit signifikant vom derzeit dominanten marktwirtschaftlichen Weltbezug der so genannten “Ökonomie“ unterscheidet, der um Effizienz, Beschleunigung, finanzielle Anreize und monetär ausgewiesenen Profit kreist.
2.
Spätestens seit der feministischen Hausarbeitsdebatte in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gibt es eine weitgehend von Frauen* getragene soziale Bewegung für eine Neubewertung des Care-Sektors: Care-Tätigkeiten sollen als wertschöpfende Arbeit anerkannt, erforscht, medial sichtbar gemacht, statistisch erhoben, in den Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaft aufgenommen, in volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen einbezogen, bezahlt bzw. besser bezahlt oder in anderer Weise so abgegolten werden, dass für alle Care-Tätigen ein Leben in Würde möglich wird. Oft setzen Care-Aktivist*innen an einzelnen Problembereichen, etwa der unbezahlten Hausarbeit, prekären Arbeitsbedingungen in der Alten- oder Krankenpflege, in Kitas, in der Angehörigenbetreuung, in der Au-pair Arbeit oder der Care-Migration etc. an und gelangen von hier aus zu einer umfassenden Analyse des gesamten Sektors und seiner Verwobenheit mit dem Rest des Wirtschaftens. In der Corona-Pandemie hat der Care-Sektor schlagartig an Sichtbarkeit gewonnen und wurde unter dem Stichwort der „Systemrelevanz“ weit über die Care-Bewegung hinaus öffentlich verhandelt.
3.
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Menschheit, will sie überleben, angesichts des bevorstehenden oder schon in Gang befindlichen Klimawandels global umsteuern, sprich: den mit der dominierenden, vermeintlich ökonomischen Marktlogik einhergehenden destruktiven Ressourcenverschleiß beenden muss. Die Pandemie hat nun zweierlei bestätigt: Erstens, dass die Sorge um das eigene Leben, das Leben der Mitmenschen und den gemeinsamen Raum Erde die Mitte allen Wirtschaftens bildet bzw. bilden muss, und zweitens, dass schnelle kollektive Verhaltensänderungen möglich sind. Zu einer neuen Normalität diesseits marktgesteuerter Routinen zu gelangen, ist also angesichts des Klimawandels nicht nur notwendig, sondern auch erwiesenermaßen möglich. Mit Konsequenz rückt so der Weltbezug Care, den man bisher zugunsten des Profits weniger externalisiert bzw. auf kompensatorisch wirkende Randbezirke des Wirtschaftens begrenzt hat, in die Mitte des Ganzen der Ökonomie: „Das Leben und seine Erhaltung“ wird zum Orientierungshorizont für alle wirtschaftlich tätigen Akteur*innen und Akteure. So kehrt die Ökonomie zu ihrem Kerngeschäft zurück: der Sorge um das Leben und Überleben der Menschheit im zerbrechlichen Kosmos Erde. Care wird vom kompensatorischen Sektor zum Kriterium fürs Ganze der Wirtschaft.
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